Kongo Schorsch
 
Vorwort

Werter Leser,
da Sie dies Textchen in Händen halten, womöglich es auch lesen, haben Sie Gelegenheit, Einblick in verworrene Ansichten eines verwirrten Geistes zu erlangen. Der Autor, Patient der geschlossenen Abteilung (im offenen Vollzug), nimmt an einem politisch ebenso umstrittenen wie finanziell desaströsem Pilotprojekt Teil, das sich berechtigter Weise neben wirtschaftlichen Erträgen auch die seelische Läuterung des zu Heilenden zum Ziel setzt, die nämlich bei vorsichtigem Optimismus zumindest nicht unmöglich scheint. Bitte teilen Sie uns ruhig Ihre Gedanken zu den Textchen mit, vielleicht gibt das der Behandlung neuen Antrieb, denn, ehrlich gesagt, wir kümmern uns herzlich wenig um diese Wirrköpfe und ziehen es vor, des Tags Schach zu spielen und uns die Abende mit kaiserlichen Orgien zu vertreiben. Da sitzen wir zusammen, schlachten Schweine, Ochsen, Blauwale und Kolibris, essen sie teilweise gebraten, kandiert, von links nach rechts oder gar diagonal, singen Lieder, tanzen, jaulen bisweilen, wie Filmwölfe den Mond, unsere selbstgeschnitzten, vergoldeten Götzenstatuen und Statuetten an. Tanzbären huschen über Essensreste in Weinlachen auf dem Marmorboden, Singvögel erfreuen uns mit ihrem Klavierspiel und der Magister Ludi doziert beständig über neue Wege zum Glück. Das Leben ist wunderbar!

Ach so, ja. Kongo Schorsch, geborener Bronkx in der Südbayrischen Wüste im Jahre des Jade-Affen, absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Gimmick-Schreiner und KFZ-Rücklicht im katholischen Karatekloster Grainau, es folgte ein Praktikum als Schirmständer auf der MIR, schließlich das Studium der Schizophrenie in München und Istanbul. Literarische Auszeichnungen sind mit Ausnahme der goldenen Kopfnuss der Universität Singapur ausgeblieben, aber er wurde bei einem Schulrennen zweiter über die 60m Hürden. Sein beständiges Verfassen von sinnlosen Buchstaben- oder gar Zahlen- respektive Symbolkolonnen induzierte eine Behandlung in unserem Sanatorium. Es folgt eine Report über seine Reise in die Anstalt (Auszug). Vielen Dank.



Die Reise von Nehta zum Pol und rückwärts

Hier draußen in der südbayerischen Wüste ist man oft recht allein. Vermutlich liegt das auch daran, dass es eine Wüste ist. Damals, in Italien und in Dänemark, hat meine erste Schlittenexpedition zu Fuß ja auch ähnliche Flecken Land erkundet, ohne jedoch das typisch südbayerische Wechselspiel von Tag und Nacht zu finden. Man sagt daher auch eher Oberbayern, ganz klar, und es wird immer erst Tag und dann Nacht, schon seit Jahrtausenden, Äonen von Jahren sagt man da auch. Der Mensch kam erst nach den Dinosauriern in diese Gegend. Die Expedition war grandios, ein Misserfolg, natürlich. Wir hatten damals mit strammen Südseewinden und Schneefällen wie man sie am Äquator auch nicht kennt gerechnet. Ferner hatten wir die Schlitten nicht für den Fußbetrieb optimiert. Auch die Hunde waren keine Schlittenknechte, sondern ein Betonhund aus dem Baumarkt nur, ein Welpe, vier schweizer Kamele und ein ehemaliger Zirkusakrobat, von dem niemand recht wusste, welchen Idioms sein Kauderwelsch war. Jedoch, vielleicht wäre vieles anders gekommen, hätte jemand auf ihn gehört; aber wir dachten die Trinkwasservorräte in einer einzigartigen Gelegenheit (Schnäppchen sagte unser Handelspartner aus Zürich) gegen eine Gesamtausgabe des Cicero geradezu eintauschen zu müssen. Langfristig gesehen, so meinte der Händler nicht zu Unrecht, entginge uns ein erklecklicher Gewinn, von unserer edlen konservativen Tat für die Kultur des Abendlandes ganz zu schweigen. Kurzfristig allerdings, so gilt zu bekennen, schmerzte uns der Mangel an Kehlenspülung weit mehr, denn der nahrhafte Cicero uns die abendlichen Lagerfeuer versüßte. Wir bauten in einem Jahr auch Kartoffeln auf Bäumen an, zogen aber weiter und so gerieten die Kartoffeln wieder in Vergessenheit, vorübergehend, dann ereilte sie neue Popularität im Zuge einer mythischen Verbrämung der Wanderschaft. Noch heute erzählen Großmütter ihren Kindern, während diese mit ihren Spielekonsolen intim werden, von den Männern mit den Kamelen und den exotischen Gewürzen, die kamen um Äcker auf Bäumen zu bestellen. Meine Expedition war es nur dem Formulare nach. Als einziger gebürtiger Schorsch konnte ich durch geschickte Auslegung des Steuerrechts in den zu durchquerenden, schwierigen Gegenden die Schlitten in anerkannter Familientradition als Wahlkampf-Flugblätter sehr günstig verzollen. Darum mein Name unter dem staatlichen Siegel. Aus den Einsparungen kauften wir eine Mittelstreckenatomwaffe. Geführt allerdings habe ich nicht. Eines der Kamele entpuppte sich nach vorsichtigem Kennenlernen als hochbegabter marokkanischer Dozent der Astronomie, der in seiner Heimat zu wenig verdiente um Frau, Kinder und weitere Verwandte in Brot und Gewand zu halten, so also auszog und als Lastenträger genug erwirtschaftete, um in wöchentlichen Geldbriefen sein Blut im fernen, heißen Heimatland fließen zu lassen. Seine Kenntnisse der Sternenkarte, seine Fähigkeiten in der Orientierung überstiegen unsere Erwartungen. Trotzdem es ihm nur ein lächerlicher Grundstein seines Wissens und Könnens war - gleich der für Außenstehende verblüffenden Art des Mathematikers, schwierigste Rechnungen flink und elegant zu erledigen, was ihm doch nur billige Grundlage für Ausschweifungen in die ästhetischen Horizonte ist, die der Stupidität gewisser Zahlendrehereien entbehren; er kann simultan vielleicht auch Yoga betreiben und Käse vertilgen, wie ein japanischer Zierfisch - hatten wir dadurch ungeahnte Vorteile, selbst den ach so bewährten Verkehrschildern gegenüber, die sich vielmehr als falsch erwiesen, so unterrichtete unser Führer den Zug. Ein Misanthrop sondergleichen habe im Mittelalter einst die Städte-, Fluß- und Ländereibezeichnungen wüst verschleppt und verworren. München etwa, einst am Tiber gelegen, der in den Zürcher See mündete, welchen man aus dem Schwarzwald spähend gleich hinter Brixen liegen sah - München heißt man heute in jener südbayerischen Wüste liegen, deren Name nun auch ungleich prosaisch lautet. Verirren konnten wir uns also nicht. Den krächzenden Wassermangel löste bald der fremdländische Gelenkige, indem er den Bürgern Darstellungen bot, während wir heimlich in deren Gärten schlichen und die Auslässe für die Gartenbewässerung anzapften. Wir litten leidlich gut. Wir buken Brot mit der Wärme unserer Schenkel und kochten Tee in unserem Mägen, wann immer uns die zaghafte Sonne und echsenfreundliche Steinterassen zugleich unseren begehrenden Augen aufleuchteten. Ein Physicus aus Norwegen, der uns zur Messung der Erdkrümmung begleitete und wahnwitzige Apparaturen zu bedienen wusste, erlag bei solch einer Gelegenheit seiner Inbrunst, als er nämlich, den Magen mit kochendem Wasser beladen und den Gaumen von unseren erlesensten Gewürzen umschmeichelt, mit einem Mal die Haare anstellte und dem Wahn verfiel, eine menschliche Smaragdeidechse zu sein, die sich, dem wabernd hallenden Ruf der Wildnis beugend, mit einem Weibchen zu paaren habe. In der akuten Not - woher auch ein auf die Schnelle eine Riesenechsin nehmen? - rammte er seinen Gelehrten-Leib bis zu seinem Tod in eine Steinmulde. Im Moment seines Todes aber rief er, zornig, mit rötlichem, fiebrigem Schimmer in seinen nordländischen Augen, die unter dem Wust krauser Augenbrauen wie Muränen hervorspähten, wie töricht er uns erscheinen müsse, trotzdem wir töricht wären und irrten, mehr noch als er. Und aus dem Stein, und seinen erschlaffenden Leib durchschwebend, erstand ein riesiger Baum, voll nahrhafter Früchte, ein immer tragender Baum, ständig gebärend. Und wirklich, wir irrten, als wir ihn fällten, um ein Boot daraus zu fertigen, denn Früchte sprossen zwar weiter aus den groben Planken, aber Wasser zum Fahren fanden wir keines. Um die Mühe nicht vergeblich zu sehen packten wir nun die ganzen Lasten in das Boot und die Kamele darunter, verbanden das Verstaute kunstvoll mit den genügsamen Gefährten und setzten uns wieder in Bewegung, alle noch angenehm von erquickenden Nachwehen des Tee in unseren Nüstern und Lungen erfüllt. Und andere Großmütter wiederum, vielleicht wussten sie es gar in Latein zu berichten, was auch nichts machte, denn lauschen wollten die drögen Enkel ohnehin nicht mehr, erzählten nun von gestrandeten Wikingern, die auf Kamelen segelnd, von Afrika kommend Schwaben durchquerten. Vielleicht auch schmückten sie heimlich, für sich, die Geschichte um hehre Ziele der seltsamen Karawane aus. Rettung einer verlaufenen Industriellentochter von einem hohen Baume. Niederschlagung sittenwidriger Revolutionen auf einem Golfplatz. Errichtung von Kindergärten in Weltraumstationen. Erfindungen, Kriege vielleicht, oder was die Sehnsucht nach großen Zeiten eben für Kuckuckseier in den Verstand setzt. Wir jedoch zogen voran, weder zielstrebig noch bummelnd, getragen in einem beschaulichen, konservativen Tempo. Die Kräfte wuchsen weder an noch nahmen sie aber ab. Allein das Wissen nahm zu, wenngleich manches Vorhaben, wie die norwegische Krümmungsmessung, naturgemäß versiegte, verloren ging, wie sein menschlicher Pate. An die tausend Mann hätten wir verloren, sagten sich die Leute gar. Verloren gingen keine Tausend! Keine Hundert. Aber alle anderen. Und so stehe ich, da ich an die Pfade einer lang vergilbten Geschichte zurückkehre, um sie nochmals zu begehen und meine Eindrücke zu verdauen, wieder alleine da. In der Südbayerischen Wüste, wie man wusste. Allein war ich schließlich auch angekommen, am Nordpol, nach zwei stürmischen Nächten in denen der Betonhund aus dem Baumarkt von Schneemassen begraben wurde und ein um das andere Kamel an Heimweh erkrankte und Fahnenflucht beging. Allein der Astronom, längst aus seinem unangemessenen Felllaken erstiegen, hielt dicht Anschluss an den verkümmerten Zug, mir den Weg rufend, frierend, da barfüßig. Dann lichtete sich das Gestöber und ich war daran den Pol zu ahnen, fühlen. Der Astronom war verloren, erfroren, oder zu seiner großen Liebe in wärmere Gefilde geflohen, wobei er recht gehabt hätte. Das Boot mit seinen bunten, zu Eisfrüchten gefrorenen Trieben, beladen mit dem kümmerlichen Rest der einstigen Erstaustattung, im Schlepptau kämpfte ich mich die letzten festen Meter polwärts, gab schließlich den Ballast auf und tauchte ab in die eisigen petrolenen Tiefen, vorbei an ertrunkenen Gazellen, gerissenen Antilopen, geschossenen Geparden, gewilderten Elefantenköpfen, einem ganzen Zoo verirrter Wüstenbewohner. Der Pol selbst war unspektakulär. Stark unterkühlt wurde ich aus dem Netz eines dänischen Eisfischers gesägt und zurück an Land gebracht. Eine Jacke, ein Hemd, eine Taschenuhr mit Intarsien aus Meteorschmelze, Hosen, ein zerschlissener Schuh blieben mir an materiellen Andenken an die große Unternehmung. Ein Skizzenblock aus Kakteenhaut war ebenso im Eis geblieben, wie mein Proviant. So also kehrte ich hungrig und mit leeren, rauen Händen in die südbayerische Wüste zurück. Eine Oase. Fett und grün leuchtet hier das Gewächs. Nicht so filigran, wie man sich das nördliche Eis vorstellt, das dann doch meist zum klobigen Alltagsgefrierklotz verkommt, in der Wahrnehmung. Man kann in jeden Stamm und jede Blüte hineinbeißen, sie vertilgen und ihr Genom über die Wüste verdüngen. Sandkörner nehme ich in die Hand und schicke sie Kraft meiner Lunge in die Luft. Ein, zwei Meter, je nach Wind. Dann ist alles wieder am Boden. Früher, noch vor der Karawane, war hier Gebirge, dann Meer. Gebirge wieder. Meer noch einmal. Eis. Dschungel. Tiere, lächerlich überdimensioniert vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, schleppten ihre Massen durch schleimiges Dickicht, je und je im moosigen Boden versinkend, ihre Spatzenhirne weit oben in die Kronen der opulenten Pflanzenwelt erhoben wippend. Windlandschaften folgten. Die Erosion brachte diese Wüste. Der Mensch erschien und baute Hütten aus Weidenzweigen und später Autobahnen, bald. Wie man einer Wüste begegnet, die schon Eis, Feuer, Flut, Glut, Gigantendung, Kometeneinschläge und Verwesung geatmet hat. Man findet manchmal antike Schriften im gleißenden Sand, oder Schädel jener schrecklichen Echsen, bisweilen gar ganze Eisblöcke der letzten Erdverkühlung. Es ist halt eine Wüste, mein Gott, was soll man sagen. Der Sand ist weißer, der Himmel blauer, der Wind lauer, meist, als sonst wo. Es ist die schönste Wüste der ganzen Welt, auch politisch. Aber man ist allein, als wäre man verloren in einer Wüste.

 
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