Kongo Schorsch
 
Hermann - Geschichte des westlichen Denkens in vier Akten (zwölf)

Hermann war immer ein guter Banker. Er trug grau, wie ein Mann europäischen Grauens nur grau tragen kann. Er träumte des Nachts von seiner future option structure development position bei jenem großen Börsenwert und auch von anderen Götzen. Eine Frau hätte nur von der Arbeit abgelenkt, die Familie störte ebenfalls. Sein Mittelklasse-BMW mit seinen Initialen auf dem Nummernschild stand immer bereit, falls die Pflicht in via Handy rufen sollte. Sie tat es nicht. Hermann begann zunehmend schlecht zu schlafen. Wer Verantwortung trägt kann immer gebraucht werden, dachte er noch. Wer keine Verantwortung trägt, wird aber nicht gebraucht, ahnte er aber schwindelnd bald. So saß er denn still seine Bürozeiten ab, immer noch ohne blanken Schimmer, was eigentlich effektiv seine Position oder seine Leistungen waren. Doch schwelend brannte es in ihm. Seine pflichtergebene, feierabendliche, gar nächtliche Bereitschaft wurde zum Martyrium. Stunde um Stunde seines Betens um einen Notfall im Computersystem oder auch nur den Ausfall einer Glühbirne, die er hätte reparieren sollen, wurde Hermann geplagt. So begann er seine Welt zu hassen und versündigte sich an seinem sterilen Weltbild. Hermann war nun besessen vom Willen zum Grauenvollen. Und also erwachte er nach einer qualenvollen Nacht voller Selbstbefreiung und Ekelwerdung, dergestalt, daß aus dem grauen Designeranzug, durch die seidene Designerkrawatte und die Kette mit dem Emblem seines Arbeitgebers, auf seinem Halse thronend, nicht sein korrekt geschorenes Haupt mehr ragte, sondern seine Eichel; sein Kopf aber baumelte am Schaft seines Genitals. Abgesehen von einigen praktischen Unannehmlichkeiten, etwa, daß Hermann einer Erektion bedurfte, um angemessen sehen zu können, ja generell mit offener Hose umherlaufen mußte, gefiel er sich prächtig, wenn er sein Büro tagein, tagaus mit seinem Erscheinen schockte. Kein Sonderurlaub, keine Kur, kein Auslandsseminar ließ er sich aufbärden und ging vielmehr tagein, tagaus seine Firma terrorisieren. Ob er mitten in einer Besprechung (er las gerade, vom entblößen, eregierten Penis sein Haupt auf die Runde gerichtet) den Hals zurückwarf und durch die häuptliche Eichel an die Wand pißte, oder ob er beim Firmen-Festbankett sein mampfendes Genital in die Salatschüssel tauchte, Hermann war sein Triumph offenbar. Die Kollegen welkten für ihn sichtbar dahin, verkamen wie der shareholdervalue, zergingen wie das venture capital und waren schließlich verschwunden wie die ganze schwammige Unternehmung. Und mit einem Mal war von Hermann der ganze Haß und der Frust über sein bis dahin verwirktes Leben abgefallen; er hörte wieder Vögel singen, das Essen schmeckte wieder, und sein Schlaf war ruhig und tief. So hätte er in seinem Triumph ein schönes Leben haben können, wäre er nicht dummerweise auf dem Oktoberfest von einer radikal-lesbischen Feministin im Suff und unter Zuhilfenahme von Viagra vergewaltigt worden, so daß er in ihrem Schoß erstickte.

KJB Reinsch,
bulgarischer Mr.Monopoly 2000, Ehrenpreisträger der Kölner Koranschule für Analysis und Ehrenmitglied der Schuhputztruppe Zugriff, dokumentiert für das Auslandsjournal eines Lokalradio seit zwei komma drei Tagen menschliche Schicksale, die zur Nachahmung auffordern.


 
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