Kongo Schorsch
 


Dr.Öschek, es ist kalt hier

Warum ich Ihnen qualifiziert erscheinen sollte, darzulegen, welcher der richtige Weg zum Glück ist, könnten Sie, stünden Sie in Blickkontakt zu mir, bereits an meiner Frisur erkennen. Aus der fleischlichen Kapuze meines Caput dringen Haare hervor, die mehrere Zentimeter lang sind. Was an sich nicht spektakulär klingt, entfaltet in der Praxis ungeahnte Wirkung. Wahrhaftig, auch andere Menschen tragen nicht-kurzes Haar, weswegen ich zur Unterscheidung der Frisuren solcher Individuen von meinen Auswüchsen anmerken sollte, daß sie einer für den durchschnittlichen beschnittenen Europäer genehmen Gestaltung (siehe Hair-Styling, An-den-Ohren-etwas-kürzer oder auch Gel) entbehren. Ich habe also eine Matte, so der terminus technicus (qualifizierte Fachkräfte haben sie als einen einzigartigen Fall von (Prinz Eisenherz) hoch 10 erkannt, was mich nur in der Hinsicht Überrascht, daß Eisenherz in hyperkubischer Potenz auftaucht, trotzdem er tot ist). Das war nicht immer so. Das kam auch nicht plötzlich. Vielmehr geriet ich aus mir unbekannten Gründen, die meine Eltern Sinnkrise, Rebellion oder juvenile Unzurechnungsfähigkeit nennen, in einen langwierigen Prozeß, in dem sich schleichend das Haar mehrte. Ich schlug, da ich keinen Anlaß dazu sah, subventionierte Frisörbesuche aus, weigerte mich, die neue Nagelschere einmal im Test über mich ergehen zu lassen, all das jedoch ohne tiefere Gedanken, ohne subversiven Plan, ja bemerkte nicht einmal, was sich über mir zusammenbraute. Eines Tages aber erschrak ich heftig, als sich ein Büschel Haare vor meine Augen warf und mir, nachdem ich die Möglichkeit, daß mich ein Gorilla fangen will, ausgeräumt hatte, nachdrücklich klarmachte, daß die Matte wuchs. Ich ahnte nun auch den ja durchaus trivialen Anlaß der durchschnittlichen U-Bahn-Fahrgäste, mich anzustarren, als sei ich ein flüchtiger Massenmörder. Warum haben wir keine Spiegel im Haus? fragte ich meine, angesichts meiner geistigen Krankheit mitleidenden Eltern - so hätte ich mich kontrollieren können. Ach Du armer... Mit einer autemberaubenden Konsequenz und Finanzkraft, ferner mit Unterstützung einiger Freunde, denen meine weltfremde Verwirrung ebenso offenbar war, entfernten sie alle Spiegel aus meinem Umfeld, nachdem ein gewisser Haarpsychologe namens Eisenherz dazu geraten hatte - zu meinem Schutz natürlich. Wenn ich mich nicht sehen kann, so die Taktik, entwickle ich Gleichgültigkeit gegenüber dem grauenhaften Schopf und lasse mich scheren. Als moralische Unterstützung von der anderen Front schlugen mir (mit 5 DM pro Stück vergütete) Blicke von U-Bahn-Fahrgästen entgegen. Nun wußte ich aber (siehe oben), daß die Matte existierte. Neugier, Trotz und anderes trieben mich nun und ließen die Taktik scheitern, die einer durchaus elementaren Bedingung genügt, welche Abzuleiten ich dem Leser überlasse. In einem klumpigen Gluonenvakuum nämlich läßt sich ganz kanonisch eine Matte entwickeln, zu der man (falls Eisenherz hyperkubisch) höchstens eine verschwindende Taktik (für t gegen Unendlich ist die Konvergenz in jedem Fall gesichert) finden kann. Sie können auch gleich weiter raten: Integrieren Sie doch einfach mal über die Matte, oder finden sie den seltsamen Attraktor. Jedenfalls würden Sie so erkennen, was Ihnen der bloße Blickkontakt zeigen kann (siehe oben). Vielleicht enttäusche ich Sie, indem ich eine Geschichte ohne Pointe und Konsequenz präsentiere, dennoch: Meine Haare habe ich noch immer. Aber ich würde Ihnen viel lieber etwas Anderes erzählen... Das darf ich nicht. Ich darf sowieso fast nichts hier. Stellen Sie Sich das überhaupt mal vor! Eingesperrt in einem kalten, feuchten Keller, so sitze ich hier und höre nur die Lautsprecherstimme des Herrn Dobrowolny: Schneller! Mehr! Unsinn! Schwachkopf! Dazu gibt es Videoüberwachung und Kontogewaltanalyse. Ich habe Angst. Im Dunkeln schuffte ich an schweren Literaturmaschinen, Inspekteur D. schaut vorbei, erhöht meine Gewichte, steigert die Qualen, beobachtet den Zerfall meiner Gehirne... Blutblasen tropfen durch die Stirn und benetzen den Wisch, den ich auf das Papier plätschere... Sein Roman muß morgen Abend fertig sein, zu Champagner und Kaviar... Ich kann aber nicht mehr... Er will mir einen Eimer überstülpen, die Luft rauben - alles entfernen, mich! Das Vakuum ist der niedrigstmögliche energetische Zustand zu gegeben Rahmenbedingungen. Woher ich das weiß? Ich bin dort! Dr.Öschek, die Suppe schmeckt scheiße! KJB Reinsch, der einzige Ohrpolizist des 21. Jahrhundert, der es nicht als verwerflich empfand und auch meinte, nicht aber Steuer hinterzog (Lüge, Lüge!), lebt derzeit auf Kuba, wo er nicht ist, sondern in der Schweiz. Auszahlung 1992 zu Händen der Angehörigen. Nettoprotokoll um 20 Uhr zu Ehren der Würmer.

 
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