Der Muff
 


Essay gegen das Unwissen I:
Meine Petersberger Eremitage in der Wüste
-Ein Tatsachenbericht-


Es ist der vierundvierzigste Tag ohne Wasser und ich hoffe, dass mein auf dieser Reise, die eigentlich Sinn stiften sollte, aber dazu noch zu späterer Stunde, mein ach so malträtierter Darm wieder Würste schreit und sich so gebärdet, wie es von einem Aal seines stattlichen Alters allgemein erwartet wird. Als mich gestern noch völlig unerwartet der Eremit, welcher, ich denke eigentlich ich selbst war und er mir unter seiner Dattelpalme, die wiederum auch Ähnlichkeit, wenn auch in einer anderen Kausalität, mit mir besaß, bedeutete in ihrem Schatten ruhen zu können, konnte ich in seinem runzligen Antlitz das finale Hauchen der Vergänglichkeit erkennen. Mir war, als blickte ich in einen Spiegel, so sehr schien der alte Mann mir und meinen Gedankengängen, ja sogar meinen immer etwas eigenwilligen und oftmals als schrullig diffamierten Argumentationsketten zu gleichen. Diese prachtvolle Erfahrung übermannte mich und just in diesem Moment der vollkommenen Hingabe, bot er mir an, ihm bei seinen Übungen beizuwohnen. Selbstverständlich hegte ich keine zwieträchtigen Hintergedanken, ich verstand mich ja ausschließlich als historisch orientierter Ethnograph, was ich bis zu meinem rüden und unschönen Ende beizubehalten pflegte und so konnte ich also diesen runzligen Eremiten beobachten, wie er sich den Bauch rieb und anschließend die Füllung, des diesen krönenden Nabels vor sich ausbreitete. Die metaphysische Bedeutung dieser, zweifelsohne rituellen Handlung blieb mir leider verborgen, auch der subtile Ausdruck des Staunens, der sich fratzenartig über mein Gesicht ausbreitete, schien ihn nicht dahin zu bewegen seine Handlungen zu erläutern. Der Mann begann die Füllung nach Alter, Form und Herkunft zu ordnen und kreierte mit wenigen Handgriffen eine allumfassende, ja quasi allgemeine Ordnung der Dinge. Ich staunte darüber, wie weit er bereits bei seiner Suche war, wie progressiv der Geist hinter der starren, alten Fassade noch immer zu sein schien. Nur für einen exakten Wimpernschlag blieb die Ordnung bestehen, bis er die Teile wieder durcheinanderwirbelte und in ihnen ausschließlich die einzelnen Fragmente der vorangegangenen Vollkommenheit erkennbar waren. Auch wenn es mir heute sehr peinlich ist, zum damaligen Zeitpunkt war es mir ob der Schönheit des soeben erlebten, nicht möglich anders zu reagieren, als bitterlich zu weinen und innerlich sprengkörperähnlich auseinander zu bersten. Am sechzigsten Tag ohne Wasser erwachte ich inmitten eines Straßencafes. Ich spürte die Struktur des schlampig verstrichenen Betonbodens auf meiner unterentwickelten Rückenmuskulatur. Diese klärte mich ebenso darüber auf, obwohl dies nicht im geringsten im Zentrum meines Interesses stand, dass der Boden wohl, so vermutete ich damals, wie falsch ich lag wurde mir erst später klar, gegen einen unerwarteten Wintereinbruch mit Kies bestreut worden war. Ich lag hier also direkt zwischen belanglosen Unterhaltungen, dem Geschnatter der viel zu oft viel zu lauten, ich stellte mir vor, wie ich ihnen Lektionen in Demut erteilte und ihnen danach in einem selbstgeschneiderten Sakralgewand scheinheilig die Absolution versprach. Doch wie war ich hier hergekommen? Hatte ich gestern zu viel getrunken? Als das grobe Geplärr erneut einsetzte beschloss ich ganz feige wie ich war, der gesamten Situation zu entfliehen und ganze 2 Jahre tief und fest zu schlafen. Am zweiundsechzigsten Tag ohne Wasser, kam endlich die seit langem erwartete alte Schateke vorbei und oh Wunder auf ihrem Arm hatte sie vier Bierdosen bei. Ihre gespielt souveräne Art sowie das großkotzige Getue, ja die penetrante Suche nach der großen Geste, als wolle sie mir mit ihren Dosen tiefgründige Weisheit verkaufen, stieß mich sogleich ab. Siegesgewiss, jedoch tief von ihrer Gier und mangelnden Authentizität getroffen, lehnte ich ihr liebloses und schäbiges Angebot ab. Vielleicht sei hier zum besseren Verständnis meiner Situation eine Begegnung am meinem fünfunddreißigsten Tag ohne Wasser angeführt. Denn bereits zu diesem frühen Zeitpunkt meiner Eremitage, erblickte ich erstmals den Flamingoschwarm und schon damals wurde mir die Tragweite meines Unterfangens, gespiegelt in der Schönheit und Vielfalt der Flamingoformationen, bewusst. Dieses Erlebnis lehrte mich auf eine sanfte Weise Demut und bereitete mich darauf vor was kommen wird oder kommen kann. Deshalb konnte ich am zweiundsechzigsten Tag mit ruhigem Gewissen, problemlos weiter meiner Erleuchtung harren. Glücklich hob ich das, erfreulicherweise unter Tarif, von der unguten Schateke erstandene Gebräu an und begann einen gewaltigen Schluck anzusetzen. Hastig folgte Schluck auf Schluck, wobei die Intervalle zwischen diesen immer kleiner, das Volumen eines jeden Schluckes rasant zunahm. Das hatte ich nicht vermutet! War meine Hoffnung vor ein paar Tagen, dass mein Darm wieder Würste schreit noch so stark gewesen, um so bitterlicher bereute ich nun diesen Wunsch. Und dies obwohl ich nicht einmal abergläubisch bin und der Glaube daran in dieser meiner Situation einmal mehr bestätigt wurde, denn nicht mein Darm, sondern mein Magen begann laut aufzuschreien. Ich bemerkte, wie ich unter lautem Grollen und starken Geböller zunehmend die Kontrolle über meinen, mir seit jeher so wichtigen Pansen verlor. Mit aller Macht schrie, der sich immer stärker zu einem Fremdkörper mutierende Magen seinen Inhalt in meine unmittelbare Umgebung hinaus. Mit seinen Brocken jedoch, schienen sich auch die, auf meiner Eremitage erworbenen Erkenntnisse einen Weg meine Speiseröhre hinauf und aus meinem Körper zu bahnen und so geschah es, dass ich zu einem Mahner ja quasi Jünger einer neuen Sache wurde! Schwall auf Schwall geballten Wissens und Lebenserfahrung quoll aus meinem Körper hinaus in die weite Welt, so dass es dieser gerade noch möglich war, zwei jeder Art auf einen Kahn zu packen und vom Berge Ararat aus in die See meiner eigenen Erkenntnis zu stechen, obwohl mir auf Anhieb 28 verschiedene Gipfel in den Sinn kommen, die den Ararat bei weitem überragen und ihn somit zu einem denkbar schlechten Ausgangspunkt für derartige eine ausgiebige Reise darstellte. Am siebzigsten Tag hatte ich wenig erlebt und immer noch kein Wasser getrunken. Folgerichtig beschloss ich meinen Selbstversuch zu beenden.

 
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