Klaus Kaske
 
Wiesn-Spezial Nummer 1 (17. 09. 2000)


Pünktlich zur Wiesenzeit hole ich die verstaubten zwei Masten aus dem Keller, säubere sie sorgfältig mit der eigens dafür geschmiedeten Bürste und lege sie zum Schluß in kochenden Essig, damit der fettige Film vom Stahl verschwindet und die volle Glitzerpracht der Goldstangen im Mondschein blitzt. Danach öffne ich meinen Gewehrschrank und entnehme ihm die zwei Fahnen mit Aufdruck. Sie werden an die kostbaren Maste geknotet und auf ihre Widerstandsfähigkeit geprüft. Ist das erledigt, beginne ich mit dem Montieren der Stangen an meinem Kopf. Hierfür hat mir Dr. Jockel ein neues Scharnier aus Titan an die Schläfen gefräßt. Es verhindert das ständige Abbrechen aus dem Schädel, das das alte Scharnier gerne in den unangenehmsten Situationen tat. Nach einer Weile und einigem Ruckeln und Klopfen sitzen die Stangen graziös auf dem Scharnier. Zuletzt wird der exakte Winkel von 73 Grad gegenüber der Senkrechten mit dem Geodreieck justiert. Die Fahnenmaste sind jetzt soweit fertig. Nun ziehe ich mich mit der traditionellen Montur eines Wiesenbesuchers an. Sie besteht aus Pelzen mit Schuhen. Um einen Platz in der Nähe der Kapelle zu bekommen, breche ich früh auf und steige um 9.46 in die Strassenbahn Linie 17 in Richtung Amalienburgstrasse. Die acht Meter langen Stangen werden mit freundlicher Hilfsbereitschaft der Passagiere durch die gekippten Fenster geschoben. Der Fahrtwind lässt die Fahnen lustig auf und ab tanzen. Das macht mich lustig und die Fahrgäste klatschen im Takt. Auch in der U-Bahn erfüllt das lustige Funkensprühen der Stäbe an der Tunnelverkleidung die durstigen Kehlen mit melodischen Jodelakkorden, und an jeder neuen Station steigen die Menschen auf das volkstümliche Lied ein und verharren in glückseeliger Harmonie bis das Abbremsen des Zuges das jähe Ende des gemeinsamen Jauchzen verrät. Auf der Theresienwiese angekommen marschiere ich zielstrebig auf das Schottenhammelfestzelt zu. Auf dem Weg dorthin versuchen betrunkene Australier sich an meinen Masten festzuhalten und springen mit Hilfe des Bocksprungprinzips immer wieder den Backbordmast an. Sie wollen die Fahne als Souvenier. Nach einer Weile geht mir das auf den Geist und ich verjage die meisten mit Minen, die mit ihrer Splitterwirkung die Glieder von den Rümpfen der Komiker trennen und so ein weiteres Springen verhindern. Am Zelt angekommen überkommt mich nun endlich die richtige Saufstimmung, als die verrauchte Luft mir das klirrende Brechen der Krüge ins Ohr trägt. Der Drang nach Bier wird immer stärker und mein Mund wird trocken vor lauter Durst. Die Stangen am Kopf stören hier Niemanden und ich setzte mich ungeniert auf den besten Platz in der Nähe der Kapelle. Als nächstes warte ich auf den richtigen Moment, um zu bestellen. Mit Hilfe eines gezielten Schreis ins Ohr der vollbusigen Oma versuche ich den Stoff zu bekommen, doch es gelingt nicht. Anscheinend war der Schrei zu leise. Also versuche ich das Geräusch mit Hilfe eines Rohrs zu fokkusieren. Ein Krug, in dem weiche Brezelfragmente in abgestandenem Biermost treiben, wird kurzerhand über die linke Schulter entleert und mit einem kräftigen Schlag auf das Tischeck vom Boden befreit. Nach einer Weile trabt die Oma schwerbeladen wieder den schmalen Gang entlang und wartet auf Order. Als sie in Reichweite ist hole ich flink den Krug hinterm Rücken vor presse ihn mit der gebrochenen Seite auf das Ohr der Frau und brülle los bis das Glas beschlägt.
Das Bier schmeckt gut und ich trinke es. Ich wippe mit dem Kopf und die Stangen mit mir. Die Fahnen wehen kühn in der bierseeligen Athmosphäre. Meine Stimmung steigt von Schluck zu Schluck. Lustige Menschen schmeißen mit den großen Brezeln nach meinen Stangen und jedesmal, wenn einer trifft und das Backwerk langsam den Mast herunterrutscht klatsch` ich in die Händ` und eß` die Breze auf. Wie ich mich so glückseelig schmatzend umsehe endecke ich die Oma, welche nicht mehr so gut hört und auf mich zeigt. Sie ist umgeben von Sichertheitspersonal, das sich mit Bierbänken und Kindern bewaffnet. Nur einen Augenblick später prasseln die Geschosse auf mich nieder. Eine Bank schlägt hart auf den linken Mast auf und trudelt, sich um die eigene Achse drehend, in die tobende Masse. Das splittern der Gegenstände verdichtet sich zu einem anhaltenden Geräusch. Ich falle getroffen von Krügen und vollen Schnupftabakdosen auf den Boden und krieche vorbei an Kotze und geköpften Bierflaschen. Der Rausch, der eine kurze Zeit meine Gehirn besuchte, ist verschwunden. Ein Licht vor mir weist den Weg zu einem ruhigeren Ort. Dort angekommen sehe ich dem lustigen Treiben aus der Ferne zu und bestelle nochmal. Bald bin ich wieder betrunken und lache aus vollem Herzen die Menschen aus. So geht das den ganzen Abend. Dann gehe ich heim. Am nächsten Tag kann ich mich an Nichts erinnnern und pflege die Wunden an meinen geknickten Stangen.
Die Fahnen sind zerfetzt, ich muß neue kaufen.

Klaus Kaske


 
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