Juliane Bockenreither
 
Kwal der Wal (part1)


Kwal hatte keine leichte Kindheit.
Nach dem Verlust seiner Mutter im zarten Alter von gerade mal 12 Jahren - die verlor er im Getümmel einer Robbenjagd bei Zypern - war er ganz auf sich allein gestellt. Doch das machte Nichts. Jedenfalls nicht so viel, denn Kwal war ein kontaktfreudiger Fisch. So lernte er in kurzer Zeit viele neue Freunde kennen, die ähnliche Interessen wie er hatten: Freiheit, nette Fische treffen, Plankton und Gesang. Ja, Kwal hätte in der Tat ein erfülltes Leben führen können. Er hätte. Kwal war mit ein paar Freunden auf dem Weg von Haifa nach Elat. Wie sie den Weg über das Land zum Roten Meer bewältigen sollten, darüber hatten sie sich noch keine Gedanken gemacht. Aber ihnen würde schon etwas einfallen, sie waren eine verrückte Bande, Kwal und seine Freunde. Einmal waren sie so weit gegangen, dass sie den Motor einer arabischen Fischerfregatte aßen und die Ruderblätter zerstörten, so daß deren Besatzung ohne jegliche Chance zur Kursbestimmung wochenlang auf dem offenen Meer trieb. Da die Fischer noch so gut wie gar nichts gefangen hatten, waren die Vorräte schnell aufgebraucht. Wer überleben wollte, für den gab es nur eine Lösung: MENSCHENFLEISCH
Dieser Ausweg stellte sich jedoch als äußerst schwierig heraus, da die Fischerbesatzung nur aus einem einzigen Araber bestand. Und als Folge dessen natürlich auch als besonders schmerzhaft. Ohne große Überlegungen, jedoch nach einer langen Phase der Überwindung begann er, seinen linken Arm zu verzehren. Da staunte er nicht schlecht, als ihm der Geschmack nicht nur zusagte, nein, so etwas wohlschmeckendes hatte der Fischer in seinem ganzen Leben noch nicht gegessen. Kein Fisch, den der Araber je gesehen hatte, in keinem der sieben Weltmeere, die er schon bereist hatte, barg so ein zartes Fleisch unter seinem Schuppenkostüm. Die Schmerzen waren natürlich schier unerträglich, aber von seinem Gaumen beflügelt dauerte es keine 15 Minuten und er hatte beide seiner Arme- rechts wie links- verschluckt. Jetzt rächte sich seine Unüberlegtheit. Der Fischer war über die Jahre ungelenkig und steif geworden, und das konnte auch der schlimmste Hunger nicht ändern. Er konnte mit seinen Zähnen keine einzige Stelle mehr berühren, geschweige denn davon abbeißen, und ohne seine Arme war er verloren. Er unternahm ein Dutzend Versuche, mit dem Mund sein Glied zu erreichen, wie er das noch aus einsamen Tagen auf See kannte. Doch da war nichts zu machen, das war alles schon zu lange her. Jegliche seiner Versuche scheiterten. Da saß er nun, hungrig, allein (mit noch intakter Zunge hätte er vor Schmerz sicherlich geschrien) und verhungerte. Kwal empfand keinen Mitleid, mit den Arabern hatten sie schon immer Probleme gehabt, der eine mehr oder weniger schien da auch keinen großen Unterschied zu machen. Er war mit seinen Weggefährten schon auf der Höhe von Gaza und träumte von den wundervollen dunkelblauen Tiefen des Roten Meeres. Bei dem Gedanken daran wurde ihm richtig warm. Aus seiner Tagträumerei wurde er erst geweckt, als Rudi, einer von Kwals guten Potwalfreunden vehement anmerken ließ, es sei "...doch mal an der Zeit, sich eine Idee für die Wüstendurchquerung einfallen zu lassen". Ja genau, die Wüstendurchquerung. Hm, so richtig hatte er darüber noch nicht nachgedacht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich das im Roten Meer tonnenweise vorhandene Plankton vorzustellen, als dass er wirklich einen konstruktiven Gedanken fassen konnte. Kwal wollte gerade antworten, als er plötzlich einen unglaublichen Stich in seiner Schwanzflosse spürte. Eine Harpune! Er geriet sofort in Panik und schlug um sich, da merkte er, dass er in einem Netz hing. Er war verloren. Das Netz wurde enger und nach oben gezogen, er sah sich nach Rudi und dem Rest der Clique um aber er konnte niemanden mehr sehen. Da traf ihn ein zweiter Pfeil, ein dritter. Kwal verlor das Bewußtsein. Er war arabischen Walfängern zum Opfer gefallen. Kurz nachdem man ihn auf das alte dunkelgraue Schiff hochgehievt hatte, wurde er aufgeschnitten und ausgenommen. Halt! Das war überhaupt kein Walfängerschiff, dieses hier gehörte zur Ägyptischen Flotte. Aber was wollte das Militär mit einem Wal?
(Antwort folgt im 2.Teil)

Kleine Geschichten mit BÖREK


 
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